Venezuela TEIl 22

23Okt06

Das Schweigen stand im Raum. Es durchdrang noch die hinterste Ecke des Wohnbereiches, in dem wir saßen und darauf warteten, dass Roberto sich wieder fangen würde. Es war ein betretendes Schweigen. Unangenehm und so beschaffen, dass man am liebsten aufspringen würde, um in einem Akt der Orientierungslosigkeit in den Garten zu rennen, um sich dort in der Öde der Brauntöne zu verlieren. Auch die ein oder andere aufgestellte Falle würde man in Kauf nehmen, einzig um diesen bohrenden Blick nicht mehr sehen zu müssen. Dieser sezierende Scan, der es bestimmt fertig brachte, unsere Gedanken aus unseren Hirnwindungen herauszupulen, um sie direkt in Robertos Personenprofil einzuordnen.
Was sollten wir erwidern? Auf das Bekenntnis, dass Roberto soeben vor uns ausgebreitet hatte, konnte es keine angemessene Reaktion geben.
Seine Drogensucht hatte ihn zwar innerlich verwahrlosen lassen, zumindest aber nicht soweit, dass er keines klaren Gedankens mehr fähig gewesen wäre. Schließlich hatten wir ihn in den ersten Tagen als einen pragmatischen, fröhlichen und klar strukturierten Menschen kennen gelernt. Er war der Pfadfinder gewesen. Ein Führertyp, der nicht ins Straucheln geriet, wenn es ums Improvisieren ging.
Und so schien es uns demzufolge auch nicht allzu verwunderlich, dass er es durchaus vorsah, sich aus dem Sumpf der Lethargie und des Selbstmitleides zu ziehen. Nur dass er dazu fremde Hilfe benötigen würde, war ihm wohl genauso gegenwärtig.
Er war auf der Suche nach guten Menschen. Nach jungen Menschen, die das Leben noch vor sich haben würden. Nach lebensbejahenden Menschen, die es sich leisten konnten, vollkommen losgelöst von Zwängen die Welt zu bereisen. Er meinte diese Menschen zu brauchen, um sich an ihnen aufzurichten, sie sollten ihm eine Stütze sein auf dem Weg durch den Tunnel der Leidenschaftslosigkeit, auf dem kargen Emportauchen.
Als er uns in Caracas traf, war ihm anscheinend sofort klar gewesen, dass er in uns diese Menschen meinte, gefunden zu haben. Drei junge Deutsche, die arglos und in den Augen seiner Welt wohl auch naiv ihre Erfahrungen machten.
Er forderte also von uns nicht anderes, als an ihm eine Art Therapeutenfunktion zu übernehmen. Bloß wie konnten wir das? War unser eigentliches Ziel nicht, das Land zu erkunden und damit möglichst viele positive Eindrücke zu sammeln? Wir flogen doch nicht auf einen anderen Kontinent, um fernab der Heimat in die Rolle der Heilsbringer zu schlüpfen. Roberto war es todernst. Er nahm tatsächlich an, dass wir bei ihm bleiben würden, um ihm dabei behilflich zu sein, von den zermürbenden Drogen loszukommen.
Wir standen zwar nicht vor der Wahl, uns zwischen einem längeren Aufenthalt bei einem psychisch instabilen Hobbyfallensteller mit intensiver Jenseitslust oder einer durchaus vergnüglicheren Fortsetzung unserer Reise zu entscheiden, aber die Findung sensibler Formulierungen stand zwingend auf dem Programm.
Natürlich war uns klar, dass wir nicht länger bei Roberto bleiben konnten. Doch konnten wir ihn seiner Situation ganz alleine weiter aussetzen? Mussten wir nicht einen Einsatz zeigen, der zumindest das zurückzahlte, was er bis da für uns getan hatte?
Ein mittlerer Gewissenskonflikt bahnte sich an. Roberto hatte sich auch schon einen beachtlichen Plan ausgedacht. Dieser sah vor, dass wir eine längere Zeitspanne bei ihm wohnen sollten. Wir würden schön viele Unternehmungen zusammen machen. Wir würden darauf acht geben, dass die Wohnung in Ordnung blieb, uns um das Essen kümmern und im Gegenzug könnten wir dann weiter umsonst bei ihm unsere Zeit verbringen. Er würde uns seinen Bekannten vorstellen und mit uns die Insel erkunden. Diese Eckpfeiler seines Planes würden als Druckbuchstaben in der grauen Theorie sicherlich eine gute Figur machen. Doch das Papier, auf dem sie geschrieben standen, hatte so viele Risse, dass man den eindeutigen Vorteil, den wir bei diesem Plan haben würden, nicht mehr lesen konnte.
Thorsten und mir war es eh noch sehr präsent, wie venezolanische Gastgeber den eigenen Meinungsschwankungen unterworfen waren und diesem hier wollten wir keine Gelegenheit geben, den Spaß an unserer Reise zu trüben. Bisher war noch alles in Ordnung gewesen, aber würden wir uns auf Roberto und seine Psychospiele einlassen, dann wäre es ein schlimmes Ende, welches unsere Fahrt nehmen würde, einmal ganz davon abgesehen, dass unsere Freundinnen nicht zwei Wochen für teures Geld nach Südamerika fliegen, nur um dort den Inselguru zu pflegen.
Also fanden wir die richtigen Worte und zeigten im an, dass wir nicht auf seinen Plan eingehen würden. Den nächsten Tag würden wir ja eh in unseren Bungalow umziehen und dort auch bis nach Neujahr bleiben. Was danach wäre, wüsten wir noch nicht und wir schlossen es nicht aus, ihn danach noch einmal zu besuchen.
Verblüffenderweise trug er diese Ansage mit Fassung und wir zogen es dieses Mal vor, uns ohne Umwege über den Kniffelbecher schlafen zu legen. Ich lag aber noch längere Zeit wach und ließ die Gedanken kreisen. Es war natürlich nie abzusehen, was einem unterwegs begegnete und welche Schicksale man kennen lernen würde, aber Robertos Geschichte war so ein typisches Konstrukt aus Schicksalsschlägen, Existenzängsten und einer beängstigenden Ich-Entäußerung, die in den meisten Fällen ihren Nährboden in der wachsenden Bedeutungslosigkeit des Einzelnen fand. Die nötige Starthilfe für so eine Karriere gaben meistens kurzweilige Drogen, die von Anfang an nicht anderes waren als Filter, die man über sein eigenes Zerrbild zu legen versuchte. Ein schlechtes Gewissen beschlich mich schon, doch war es eindeutig nicht unsere Aufgabe, uns ebenfalls in eine solche Welt zu verstricken. Wir würden für Roberto das tun, was wir konnten. Wir würden ihn nicht vergessen und ihm zum Abschluss unseres Aufenthalts auf Margarita noch einen Besuch abstatten.
Am nächsten Tag standen wir sehr früh auf, um möglichst schnell zwischen uns und Roberto die gebührende Distanz zu bringen. Wir verabschiedeten uns recht sachlich, ließen uns aber trotzdem das Versprechen abringen, sich bei ihm an Sylvester zu melden und Bescheid zu sagen, wie unsere weiteren Pläne aussehen würden.
Immer noch recht nachdenklicher Stimmung saßen wir im Bus und fuhren nach Playa el Agua. Die Pudeldame zeigte sich über unsere Ankunft erfreut und wir bezogen jetzt wieder besser gelaunt unseren Bungalow. Dieser war auch in der Tat dazu angetan, unsere Stimmung zu heben. Es gab zwei Schlafzimmer mit jeweils einem schön großen Bett, einen großzügigen Wohn – und Essbereich und eine Küche, in der man sich die leckersten Sachen kredenzen konnte. Zum Strand waren es schlappe 100 Meter und zu Roberto ungefähr 40 Kilometer. Wir gingen sogleich los, um den besten Laden ausfindig zu machen und wurden fündig. Dort versorgten wir uns natürlich in erster Linie mit Polarbier und horteten diverse Grundnahrungsmittel in unseren Taschen, um unseren neuen Palast mit allem auszustatten, was unser gebeutelter Magen sich so wünschte.
Wir sahen also einer freudigen Zeit entgegen. Zwei Tage später würde auch Janine ankommen und Thorsten würde endlich einen willkommenen Ausgleich zu seiner Vokabelpaukerei finden.
Was konnte in diesem Moment unsere Hochstimmung trüben?



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