Venezuela TEIL 23

09Feb07

Eine lange nicht erlebte Ruhe breitete sich in unseren Gliedern aus. In unseren ersten Tagen in dem gemütlichen Bungalow kamen wir das erste Mal seit unserer damaligen Rückkehr nach Caracas dazu, die Erlebnisse der letzten drei Wochen Revue passieren zu lassen. Es war ja in der Tat so einiges passiert, was uns die meiste Zeit davon abhielt, Luft zu holen oder einen klaren Kopf zu bekommen. Erst erlebten wir hautnah das große Gastgeber-Aufundab zwischen Quasi-Kumpels mit gelöschter Freundschaftsfunktion aber dafür bestens ausgestatteter Rausschmeißermentalität und durchgedrehten Crackhäuptlingen, die einen zwecks selbst ausgedachter Psycho Feldversuche bei sich zu Hause einquartierten. Dann durchliefen wir die ganz normale Odyssee, die man anscheinend über sich ergehen lassen muss, wenn man sich in einem Land wie Venezuela mit einem Schiff zwischen zwei Punkten bewegen will. Einen auch sehr geräumigen Platz in unserem Erfahrungsschatz nahm ebenso die gesellige Zeit in unserem ehrwürdigen Nuttenhotel Sava ein, die uns immerhin lehren konnte, dass dieser Hort der endlosen Spiegel und unter der Hand gehandelten Fahrstuhlabenteuer genau der richtige Ort sein kann, um einen handfesten Jet-Leg auszuschlafen.

Seit uns Jesus aus seiner Wohnung hinaus komplimentiert hatte, war uns eigentlich stets etwas Unvorhergesehenes passiert, alles war spontan und turbulent verlaufen. Eine Tatsache, die an sich nichts negatives bedeutete, aber das Mieten des Bungalows war die erste wirklich von uns gewollte und geplante Sache gewesen, seit uns der Zufall an die Hand genommen und uns durch diese kurvenreiche Zeit manövriert hatte. Angesichts dieser Tatsachen fiel auch erst jetzt die ganze Anspannung der letzten Zeit von uns ab und wir genierten uns nicht, auch mal einen ganzen Tag nur in der gänzlich unabwechslunsgreichen Calle Miragua zu verbringen.

Außer unserer Herberge gab es noch ein, zwei andere Anlage ähnlicher Natur und dazu am Straßeneingang eine gar feudale Apartmentansammlung, die sicher nur von den Inhabern der dicken Geldbündel bewohnt wurde. Zudem gab es in unserer Straße einen deutschen Frisör. Natürlich hätte ich lieber drei Nächte am Stück mit unserem Andenbär in seiner Höhle verbracht als mich während einer Südamerika-Abenteuerreise in die Hände eines solchen Coiffeurs zu begeben, aber nach einem Seitenblick auf Thorstens Haarpracht, überlegte ich schon kurz, ob ich ihm nicht ein nachträgliches Weihnachtsgeschenk machen sollte. Neben dem Frisör gab es auch ein deutsches Lokal, die zu unserem Erstaunen tatsächlich Warsteiner vom Fass anboten. Das schlug dem selben doch glatt den Boden aus, wie wir fanden und folglich haben wir auch keinen Fuß weder in das Lokal als auch in den Frisiersalon gesetzt. Da statteten wir doch lieber dem sagenhaften Strand einen Besuch ab, der unweit unserer Behausung gelegen war und an dem wir als gehaltvollere Warsteineralternative den Batida Verkäufern ihr leckeres Gebräu direkt aus den Schläuchen wegtranken. Die Calle Miragua mündete in die Promenade, wie ich die Straße direkt am Strand der Einfachheit halber nennen möchte. Von dort hatte man unbegrenzten Zugang zum Paradies. Dieses Paradies war zwar nicht ganz so entvölkert wie unser Traumstrand in Choroní, aber dafür war er glatte zehn Kilometer lang, hatte ebenso genialen Wellengang zu bieten und war ideal dazu geeignet, um stilsicher dem Nichtstun zu fröhnen. Und damit die fröhliche Faulpelztruppe nicht als ständiger Dreier dort auflaufen musste, bekamen wir alsbald Verstärkung durch Thorstens Freundin Janine, die ebenso wie Jennie direkt aus dem winterlichen Deutschland eingeflogen kam.

Wir holten sie gemeinsam vom Flughafen von Porlamar ab und entdeckten sie fast sofort, denn um besser in venezolanischen Menschentrauben aufzufallen, hatte sie sich wohl kurz vor Reiseantritt ihre Dreadlocks knallrot gefärbt. Natürlich gab es ein herzliches Wiedersehen und ich hoffte für Thorsten, dass sie ihm Einlagen im Stile einer zu Stein erstarrten Dornröschendarbietung, wie Jennie sie mir vorgeführt hatte, ersparen würde. Nun konnten wir endlich in trauter Viersamkeit lachen, kochen, feiern und auch genüsslich am Strand abhängen. Ein anderer reizvoller Aspekt dieser Verdoppelung unserer Reisegruppe war der, dass ich oder auch Thorsten nun auch mal getrennt von dem anderen etwas unternehmen konnte, aber trotzdem eine nette Gesellschaft dabei hatte. Tatsächlich lag das Hauptaugenmerk unserer Tagesplanung darauf, möglichst viel mit seiner Freundin zu unternehmen, die man so lange nicht mehr gesehen hatte. Dies schloss in den meisten Fällen aber auch nicht aus, dass man sich zu markanten Zeiten wieder traf, um den Ritualen wie der Essenszubereitung inklusive der Nahrungsmittelbeschaffung oder der täglichen Strandhuldigung gemeinsam nachzugehen.

Diese Phase unserer Reise war wirklich die unaufgeregteste und wir genossen jeden Tag. Am Sylvesterabend feierten wir ganz typisch an einer der zahlreichen Strandbars und ließen jedoch völlig untypisch mal kein Polarbier fließen, sondern schlemmten uns durch sämtliche Cocktails, die der Barmann schwungvoll von der Karte Gestalt annehmen ließ. Die Entspannung dieser Tage ließ auch tatsächlich Thorstens und mein Groll gegen Jesus verfliegen und wir wagten sogar einen zaghaften Anruf bei ihm in Caracas, um nachzufragen, wie es so bei ihm aussähe und ob er den Umzug gut über die Runden gebracht hätte. Man kann nicht wirklich sagen, wie er am Telefon wirkte. Auf jeden Fall kamen keine euphorischen Einladungen, mit denen wir aber auch nicht wirklich gerechnet hatten. So ganz sicher waren wie eh nicht, wie unsere weitere Zeit nach der Abreise der Mädels aussehen würde. Klar war, dass wir Ende Februar nach Deutschland zurückfliegen würden und dass Janine eben dieses am 13. Januar machen würde. Das bedeutete, dass wir dann Margarita auch wieder verlassen würden, um uns und unser völlig unliquides Budget irgendwo geldsparend zu platzieren. Wie das so zu bewerkstelligen sein sollte, konnten wir gar nicht sagen. Wir wussten nur, dass uns etwas verdammt Gutes einfallen musste, wenn wir nicht wieder bei Roberto enden wollten. Wir wussten aber auch, dass für solchen Überlegungen später auch noch Zeit blieb und wir lieber den Moment genießen wollten.

Eine Woche nach Sylvester war dann der Tag von Jennies Rückflug und ich brachte sie zum Flughafen. Dort bekam sie noch einmal eine nachdrückliche Paradeinszenierung venezolanischen Reisechaos als Abschiedsgeschenk vorgeführt. Während wahre Horden versuchten, an den Schaltern ihrer Wahl einzuchecken, taten die netten Herren in Camouflage und Maschinenpistole alles dafür, um den Lautsprecherdurchsagen zuwiderzuhandeln und scheuchten die aufgebrachte Menge immer an den Schalter, der gerade nicht als geöffnet durchgesagt wurde. Noch verwirrender wurde dieses eindrucksvolle Spiel dadurch, dass sich die Durchsagen minütlich änderten und man somit ziemlich schnell gar nicht mehr wusste, wohin man eigentlich sollte und in welchem Land man war. Gestählt durch meine eigenen Erfahrungen entwarf ich bald die Taktik, einfach dort stehen zu bleiben, wo man gerade war und so konnte man todsicher in regelmäßigen Abständen die Leute wiederkommen sehen, die gerade noch vor und hinter einem in der Schlange gestanden hatten. Schließlich war aber auch dieses Hindernis überwunden und das Wunder einer nicht vorhandenen Schlange vor dem Check-In Schalter war tatsächlich geschehen und so konnte Jennie begleitet von meinen traurigen Blicken hinter der Absperrung verschwinden.

Jetzt wo Jennie das Land wieder verlassen hatte, neigte sich unser Aufenthalt in der Calle Miragua auch dem Ende zu und wir beratschlagten über unser nächstes Domizil, da der Bungalow für eine weitere Woche mit aber nur drei Bewohnern eindeutig zu teuer war. Die Alternativen waren ja nun nicht gerade im Überfluss vorhanden und so einigten wir uns unglaublicherweise darauf, Roberto anzurufen und ihm mitzuteilen, dass wir am nächsten Tag bei ihm eintreffen würden. Dieser zeigte sich am Telefon auch hoch erfreut und versprach, uns einen fürstlichen Empfang zu bereiten. Wie dieser nun wiederum aussehen würde, wagten wir uns gar nicht vorzustellen, aber wir waren auf alles vorbereitet. Die wirklich guten Gefühle hatte ich bei dieser Sache nicht, doch machte man im Leben doch stets gerne zweimal den gleichen Fehler und ich harrte geduldig auf das Eintreffen dieser Lebensweisheit. Doch wer wusste es schon?

Vielleicht hatte Roberto ja auch mal Überraschungen positiver Natur zu bieten und würde sich in der folgenden Zeit als aufmerksamer, vollkommen cleaner und ausgeglichener Gastgeber präsentieren, der keine Multiple-choice Bögen auf Psychopathebasis in der Nachtischschublade aufbewahrte und der es binnen einer Woche perfekt erlernt hatte, sich vollkommen ohne fremde Hilfe von der schweren Depression in Kombination mit paranoiden Wahnvorstellungen zu heilen. Die Wahrscheinlichkeit hierfür lag auf einer Stufe mit dem Unterfangen, Thorsten zum Abschied aus der Calle Miragua zu einem Frisörtermin mit anschließendem Umtrunk im Wohnzimmer der Lokalbetreiber zu überreden und so trösteten wir uns lediglich mit der Tatsache, dass wir die nächsten Tage wieder ordentlich Geld sparen konnten.

Am nächsten Tag trafen wir also gegen Mittag in Robertos Bungalowsiedlung ein und staksten auf alles vorbereitet durch seinen Vorgarten. Die Verandatür war verschlossen und im Haus regte sich nichts. Wir spähten durch die Fenster, konnten aber keine Bewegung im Inneren ausmachen. Wo steckte unser Mann denn dieses Mal schon wieder? Konnte er eigentlich nie zu Hause sein, wenn man sich mit ihm verabredet hatte? Oder lag er irgendwo auf der Lauer, um sich erneut über unsere überraschten Gesichter zu freuen? Wir sahen uns im Garten um und entdeckten eigentlich nichts Neues. Alles sah genauso tot und trübe aus wie bei unserem ersten Besuch. Ein kleiner Unterschied bestand lediglich darin, dass nun auch die letzten tapferen Pflanzen, die bis zum Schluss diesen hartnäckigen Kampf gegen das alles verschlingende Braun ausgefochten hatten, mit abgeknickten Köpfen im Staub lagen und so als letzte Veteranen dieser aussichtslosen Schlacht dem modrigen Sieger das Feld überließen. Der Mensch, der diese mutigen Kämpen so rücksichtslos in Särge gepackt und fahnenumhüllt zurück in den organischen Schoß der Natur geschickt hatte, war aber leider in diesem Moment nicht zugegen, um mit uns die Trauerfeier zu begehen und es sah auch nicht so aus, als ob er sich in näherer Zukunft zu uns gesellen würde.

Thorsten schlenderte mehr aus Langeweile als aus Interesse an Verwesung durch den Garten. Ich sah gerade wieder durch die Verandatür und versuchte den Pappaufsteller von Robertos Ex-Frau per Hypnose dazu zu bringen, mir die Tür zu öffnen, als ich aus den Augenwinkeln sah, wie Thorsten strauchelte und wild mit den Armen zu rudern begann. Er wirbelte ein kurze Weile so mit den Armen, bis ihn die Schwerkraft schließlich doch per unsanfter Polandung auf den Boden zwang. Er rappelte sich auf und krabbelte herum und untersuchte anscheinend etwas auf dem Erdboden. Dann hörte ich ihn etwas von einem Stolperdraht rufen und folgte mit dem Blick seinem ausgestreckten Finger, der auf etwas deutete, das hinter einem Baum versteckt war. Ich ging vorsichtig hin und entdeckte augenblicklich eine voll funktionstüchtige und vor allem gespannte und geladene Armbrust, die mit dem Faden, der von der Stelle herführte, an der Thorsten stand, verbunden war. Hier handelte es sich also um eine zwar etwas altmodische aber trotzdem sehr gefährliche Selbstschussanlage, über deren Existenz man sich doch schon sehr wundern durfte und von der wir ganz sicher sagen konnten, dass sie damals noch nicht dort gewesen war. Nun suchten wir sofort den ganzen Garten ab und entdeckten noch einige weitere solcher Fallen, deren ausführende Gewalt z.B. aus Messer, irgendwelchen Indianerpfeilen und sogar einer Axt bestand. Nun waren wir noch gespannter auf Robertos Rückkehr und überlegten uns schon einmal die mehr als deutlichen Worte, die wir an den hinterlistigen Fallensteller richten würden …



1 Responses to “Venezuela TEIL 23”

  1. Ey wann geht’s denn hier weiter, will endlich wissen, wie es weiterging mit Roberto und den Fallen. 😉


Hinterlasse einen Kommentar