Venezuela TEIl 20 (Jubiläum)

29Jul06

Wunder gibt es immer wieder, heute oder morgen können sie geschehen. In unserem Fall begrüßte ich natürlich das Auftreten unseres Buswunders noch am selben Tag. Und tatsächlich waren wir diesmal im Glück, denn wir brauchten nur ein paar Schritte zu gehen und schon stand ein Bus bereit, in dem sogar noch viele Plätze frei waren und der zudem noch recht preisgünstig war. Am Steuer saß zwar nicht Katja Ebstein, aber der etwas rundliche Schnauzbartträger war mir in diesem Moment ebenso lieb, weil er sein Gefährt auch umgehend in Bewegung brachte und die Hauptstadt der Insel ansteuerte.

Porlamar lag im Osten der Insel und hatte schon dieses touristische Äußere, das man sofort an Städten erkennt, die über einen stadtnahen Strand und einige interessante Geschäfte verfügen. Der Bus ließ uns an einem Punkt heraus, von dem wir einen weiteren Bus besteigen konnten, der uns zum Inneren der Insel zu Robertos Haus bringen sollte. Hierfür visierten wir einen Van an und quetschten uns und unsere Rucksäcke irgendwie an den zwei dicken Frauen vorbei, die gekonnt den Einstieg versperrten. Der Van war einer von denen, die die ganze Zeit über die Insel flitzten und für wenig Geld eine Handvoll Insassen mitnehmen konnten.

Das Nahverkehrsnetz ist in einem Land wie Venezuela etwas anders geregelt als in Deutschland. Eine städtische Verkehrsgesellschaft oder zumindest ein bezuschusster, privater Nahverkehr existiert dort nicht. Vielmehr gibt es in den meisten Städten mehrere private Anbieter, die sich oftmals auch zusammenschließen. Diese Anbieter fahren mit ihrem eigenen Bus oder Van. Das Ganze funktioniert eher wie ein Taxi, da die Wagen den Fahrern selbst gehören und sie nicht bei einer größeren Verkehrsgesellschaft angestellt sind. So läuft das in den meisten größeren Städten auch. Nur in Caracas gibt es noch den Metrobus, der von der CAMETRO betrieben wird, die auch Betreiber der U-Bahn sind.
So hatte also jeder Fahrer sein eigenes Reich, in dem er machen konnte, was er wollte. Folglich gab es auf der Insel Margarita auch keine geregelten Fahrpläne, Haltestellen oder feste Fahrpreise. Wie wir ja schon seit längerem wussten, dienten besonders markante Ecken als Einstiegspunkte und aussteigen konnte man eigentlich, wann und wo man wollte. Hierfür bedeutete man dem Fahrer mit einem markig gerufenen „PARA!“, dass er anhalten sollte, und er ließ einen dann an Ort und Stelle heraus.
Roberto fand es nach ziemlich kurzer Fahrt für angebracht, sein elegant dahingeschmettertes „PARA!“ verlauten zu lassen und der Van spuckte uns an einer staubigen Straßenecke aus. Wir kratzten uns ratlos die Köpfe, während die mittlerweile zum einem voll automatisierten Vorschlaghammer aufgerüstete Erinnerungsfunktion in meinem Magen weiter beharrlich darauf hinwies, dass mein Magen dabei war, sich zu einer schrumpeligen Rosine zusammenzuziehen. Ich erinnerte Roberto auch sofort an seine wunderbare Fabel vom besten Imbiss der Insel und er schwenkte als Antwort seinen Arm zeigend zu einer windschiefen Bretterbude, die mir noch gar nicht aufgefallen war. Ungläubig vernahmen wir, dass hier die beste Empanada der Insel zubereitet würde und ich tröstete mich mit der Aussicht, dass hier sicher ein ehemaliger Sternekoch, der sich müde und abgeschlafft von den Edellokalen der Welt abgewandt hatte, das Regiment führte und dass diese Tatsache auch nur den gewieftesten Inselfüchsen, wie Roberto einer war, bekannt war. Auf diese Annahme führte ich auch den mitnichten vorhandenen Kundenansturm und den schnarchenden Budenbesitzer, der auf Robertos Klopfzeichen hochschreckte, zurück.
Es gab dort tatsächlich Empanadas und es gab sie auch mit den verschiedensten Füllungen. Ich wollte mir gerade genüsslich eine mit Hühnchen gefüllte Version bestellen und Jennie die ebenfalls bestimmt ganz leckere Käsevariante empfehlen, als Roberto auch schon dazwischentrompete und laut verkündete, dass wir unbedingt die Empanada mit Zunge zu kosten hätten. Es war wirklich widerlich. Wir machten zwar ein liebes Gesicht, dass gar nicht zu dem Inhalt der Empanada passen wollte, welcher sich da ekelig glibbernd auf unserer Zunge wand, aber innerlich zweifelte ich an der Essbarkeit von Robertos Leibspeise. Da wurde der Biss in eine Empanada zu einem waschechten Zungenkuss und ich hätte diese Unappetitlichkeit gerne dem feixenden Sternekoch in die Auslage gerotzt.
So kam es leider nicht zu einer vernünftigen Stillung meines Hungers, denn ich nahm dann doch höflich Abstand vom Erwerb einer zweiten Empanada. Ich hatte den Verdacht, dass Thorsten diese Scheußlichkeit sogar noch geschmeckt hatte. Aber wundern sollte mich das eigentlich nicht, denn er hatte ja auf der Cayo Sombrero dem fangfrischen Fisch auch mit Vergnügen die Augen zerbissen.
Roberto meinte, dass es ein Vergnügen wäre, die letzten Meter zu seinem Haus zu Fuß zurückzulegen und so schulterten wir einmal mehr unsere Rucksäcke und sagten dem Giftmischer mit seiner ausgestreckten Zunge auf Nimmerwiedersehen.
Dass aus den letzten Metern dann tatsächlich mehrere Kilometer wurden, nahm ich nicht mehr wirklich wahr, denn ich schleppte mich aufgrund meiner Müdigkeit nur noch dahin und freute mich auf eine erfrischende Dusche und vielleicht auch ein kleines Nickerchen in Robertos Palast.
Schließlich tauchte eine Siedlung am Wegesrand auf, die mit einem Gittertor gesichert war. Roberto öffnete dieses und wir betraten seine Wohngegend, die in meinen Augen den ersten Preis für die gelungenste Comptonimitation verdient gehabt hätte. Wir rätselten schon, wo sich zwischen den einfachen Bungalows wohl der herrschaftliche Prunkbau verstecken würde, der in Robertos Schilderungen so eine zentrale Rolle eingenommen hatte, als er die Pforte zu einem Haus öffnete, das sich in keinster Weise von den anderen abhob. Unsere Ansprüche waren und durften natürlich nicht hoch sein, denn wer ohne das große Geld als Traveller unterwegs war, der sollte seine Anforderungen an die Unterkünfte doch deutlich zurückschrauben. Wer dann noch von einem doch eigentlich Fremden eingeladen wurde, bei ihm kurzzeitig zu wohnen, der sollte im Grunde dankbar für alles sein. Doch nach den Lobpreisungen und Selbstbeweihräucherungen seitens unseres Mr. Alles hatten wir dann doch etwas anderes erwartet. Der Garten, der noch vor kurzem als Oase der überbordenen Farben und Gerüche beschrieben worden war, entpuppte sich als Hort der Ödness, in der grausame Monsterstachelpflanzen den wenigen grünen Flecken zu Leibe rückten, die sich in diesem aussichtslosen Kampf noch hatten behaupten können. Wo in den benachbarten Gärten noch hübsche Blumen zu sehen waren, herrschte in Robertos Garten das Einheitsbraun vor. Hier lebte nichts mehr wirklich, denn der kümmerliche Rest an organischer Masse stand bereits kurz vor der nächsten Verwesungsstufe. Es hätte wohl nicht mehr lange gedauert und Roberto hätte mit seinem als Garten getarnten Ascheplatz der Atacama Wüste Konkurrenz machen können. Unsere entgleisten Gesichtszüge konnten ihn aber nicht im geringsten aus der Ruhe bringen. Nun nahmen wir natürlich an, dass uns nach dem verfallenen Garten im Inneren seiner Behausung ein strahlender Kontrast entgegenspringen würde, weil der gute Herr sicherlich seine ganzen gesparten Energien, die nicht bei der Gartenpflege draufgingen, vollständig in die Behaglichkeit seines Hauses gesteckt hatte. Aber da hatten wir wieder so weit gefehlt, wie damals in der Schule, als wir im Schichtdienst sämtliche internen Schwänzrekorde zum Wackeln brachten. Es war muffig und unordentlich. Die Fensterläden waren alle zu, der Boden war übersät mit Klamotten und anderem Zeug. In seiner Küche stand der Turmbau zu Babel kurz vor dem Abschluss oder Umsturz. Der Gasherd leuchtete in schilldernden, grünen Farben und das getürmte Geschirr hatte wegen der notwendigen Mimikri denselben Farbton angenommen.
Ich musste wirklich kurz lachen. Da hatte der Schlaumeier uns die ganze Zeit an der Nase herumgeführt. Vielleicht war das ja eine Masche von ihm. Arglose Traveller zu sich einzuladen, ihnen die schönsten Geschichten zu erzählen, um sich dann anschließend an deren fassungslosen Gesichtern zu laben. Doch wir wollten ihm jetzt nicht zu offensichtlich die volle Breitseite geben und hatten ja letztendlich auch keinen Grund dazu, schließlich stand seine Einladung ja noch immer und sein Haus bot uns schließlich Schlafplätze, eine Dusche, eine Küche, in der man zwar erst einmal kräftig entkrusten musste, aber es gab sie immerhin und einen Gastgeber, der uns bis hierher ein guter Kumpel gewesen war.
Also schlugen wir ein und machten es uns gemütlich.

Während ich Jennies und meine Sachen in das Gästezimmer brachte, hatte sie sich sogleich ins Badezimmer begeben, um sich eine Duschpause zu gönnen. Ich packte gerade ein paar Sachen aus und freute mich darüber, dass wir beide sogar ein eigenes Zimmer zugewiesen bekommen hatten, als mir ein spitzer Schrei aus dem Badezimmer verkündete, dass dort die nächste Überraschung lauern musste. Ich stürzte durch den Gang und erreichte die Tür zum Badezimmer gerade, als ein erneuter Hilferuf erklang. Ich sprang, ohne zu klopfen, in den Raum und starrte auf eine genervte Jennie, die sich eilig aus der Duschkabine entfernt hatte.
Ich untersuchte das Becken, um den Grund ihres Betragens zu erfahren und entdeckte fast sofort den netten Skorpion, der sich dort breit gemacht hatte und nicht daran dachte, den Duschgästen den Vortritt zu lassen. Ich wollte das Tier nicht gleich herunterspülen, schließlich hätte es sich ja auch um Robertos verirrtes Lieblingshaustier handeln können, sondern riet Jennie einfach zu einer Katzenwäsche am Waschbecken und suchte den Hausherren auf. Roberto schien es eher lustig zu finden und verwies darauf, dass das Duschen eh nicht lange möglich wäre, da er vor seiner Abfahrt nach Caracas ganz vergessen hatte, seine Wasserzisterne auf dem Dach wieder auffüllen zu lassen. Ich sah ebenfalls ein, dass das Duschen mit einem kleinen Rinnsal keinen Spaß machen würde und so erledigte sich dieses Problem ganz von selbst.
Thorsten hatte sich schon längst auf der Couch im Wohnzimmer ausgestreckt und führte ein nett anzuhörendes Schnarchkonzert auf und so legten wir uns auch hin und schliefen bis um frühen Abend durch.
Dann ging es allerdings darum, endlich mal wieder etwas vernünftiges zu Essen auf den Tisch zu zaubern. Nachdem Thorsten und ich nach einem heldenhaften Sondereinsatz das Geschirr wieder identifizierbar gemacht und die Benutzbarkeit der Küche wieder hergestellt hatten, versprachen wir Roberto, das Nötige einzukaufen und unsere Spezialpasta zuzubereiten. Er erklärte sich damit einverstanden und verschwand auch, weil er noch was wichtiges von einem Bekannten abzuholen hatte. Wir fanden ganz in der Nähe einen Laden für alles und deckten uns mit allem ein, was wir für den Abend brauchten.
Als wir wiederkamen, war Roberto auch schon wieder zurück und hatte es dann doch geschafft, etwas Ordnung in seine Wohnung zu bringen. Wir konnten insgesamt mit unserer Situation zufrieden sein. Wir machten mit Roberto aus, dass wir die nächsten zwei, drei Tage bei ihm wohnen würden und uns in der Zeit schon mal nach einer anderen Unterkuft umsehen wollten, da dann Thorstens Freundin Janine ebenfalls eintreffen würde. Dann wollten wir uns zu viert eine hübsche Herberge mieten und anschließend, wenn Jennie wieder zurückgeflogen war und wir somit wieder zu dritt sein würden, wieder bei ihm einkehren. Er stimmte diesem Vorschlag freudig zu und entwarf auch schon große Pläne für den Sylvesterabend, den er auch gerne mit uns feiern wollte.
Unsere Pasta schmeckte wieder vorzüglich und Roberto erzählte uns von seiner Zeit in Deutschland. Schließlich kam es zu der Frage, warum er nicht mehr als Reiseleiter arbeitete und sofort verdunkelte sich sein Gesicht und er warf nervöse Blicke in die Runde. Sein sonst so zwinkernder Gesichtsausdruck wich einer starren Maske, die durchaus dazu angetan war, das Schlimmste zu vermuten. Wir warteten gespannt, was er sagen würde, aber anstatt zu antworten, sprang er auf und verließ fluchtartig den Raum. Was hatte dies zu bedeuten? Wir hörten ihn in seinem Schlafzimmer rumoren und schon kam er auch zurück und hielt in seinen Händen das Unwahrscheinlichste, was man in einem heruntergekommenden Bungalow in diesem Minighetto wohl finden konnte…



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